Wissenswertes
zur Entstehung und Behandlung
Wenn
jemand nach der Ursache des Muskelkaters fragt, erhält er meist spontan
die Antwort: "Das kommt doch von der Milchsäure!" (die besonders bei
hohen körperlichen Belastungen in großer Menge produziert wird).
Diese
weit verbreitete Meinung beruht auf einer vor vielen Jahrzehnten aufgestellten
Spekulation, die nie bewiesen wurde, ja die, wie man heute weiß,
ausgesprochen unwahrscheinlich ist. Eine völlig andere, im anglo-amerikanischen
Raum verbreitete Ansicht ist, daß der Muskelkater durch kleine Zerrungen
im Gewebe entsteht. In den letzten Jahren haben elektronenmikroskopische
Untersuchungen diese Vorstellung erhärtet.
Das
typische Kennzeichen des Muskelkaters ist, daß er nach einer ungewohnten
oder besonders starken muskulären Anstrengung mit einer Verzögerung
von einem Tag auftritt und dann bis zu einer Woche dauert. Ungewohnt ist
für einen Untrainierten, wenn er nach langer Pause wieder am Sport
teilnimmt oder eine neue Sportart anfängt. Für einen Leistungssportler
gilt dies, wenn er eine neue Bewegung einübt oder sich im Wettkampf
viel stärker als im Training auslastet. Die vom Muskelkater betroffenen
Muskel sind eigentlich kraftlos, sie schmerzen bei Bewegungen, aber auch,
wenn man auf sie drückt.
Ob
diese Beschwerden ursprünglich durch Milchsäure oder durch Risse
verursacht sind, müßte sich eigentlich aus einer Beobachtung
der zum Muskelkater führenden Bewegungen bereits erkennen lassen.
Milchsäure entsteht nämlich in besonders großer Menge bei
schnellen, viel Energie fordernden Bewegungen von etwa einer Minute Dauer,
wie zum Beispiel dem 400 m-Lauf, weil die Sauerstoffversorgung des Muskels
hinter dem Bedarf hinterherhinkt. Risse entstehen dagegen am ehesten bei
großer Kraftbelastung, die das Muskelgewebe einer zu hohen Spannung
aussetzt.
Gerade
bei maximaler Kraftentfaltung ist die Belastung aber nur kurz - die Kontraktion
dauert daher nicht lange genug, um eine Milchsäureanhäufung auszulösen.
Die notwendige Energie gewinnt der Muskel bei solchen kurzen Anstrengungen
aus der Spaltung sehr energiereicher Phosphorverbindungen.
Die
größten Kräfte entwickelt eine Muskelfaser (= Muskelzelle)
nicht etwa, wenn sie sich verkürzt, sondern wenn sie durch übermächtige
äußere Kräfte gedehnt wird. In diesem Augenblick wächst
sie sozusagen über sich selbst hinaus. Diese sogenannte "exzentrische
Kontraktion" ist gar nichts Ungewöhnliches, sondern kommt beim Abbremsen
von Bewegungen ständig vor. Beim Bergabgehen wird zum Beispiel die
Beschleunigung des Körpers durch die Schwerkraft ständig von
Muskeln abgebremst, die der Dehnung durch aktive Kontraktion Widerstand
leisten. Das gleiche geschieht beim Landen nach einem Sprung. Das Entscheidende
ist nun, daß gerade solche exzentrische Kontraktionen am häufigsten
Muskelkater auslösen, während die Milchsäurebildung dabei
sehr gering ist. Fast jedermann erinnert sich an Muskelkater nach Abstieg
von einem Berg. Das klassische Experiment stammt von dem skandinavischen
Sportphysiologen Asmussen aus dem Jahre 1956. Er ließ Versuchspersonen
bis zur Erschöpfung mit einem Bein auf einen Stuhl hinauf- und mit
dem anderen herabsteigen. Die Probanden ermüdeten zuerst im Aufsteigebein
und hatten am nächsten Tag Muskelkater im Absteigebein. Man kann einwenden,
daß in diesem Versuch auch die Muskelkräfte durch das Körpergewicht
vorgegeben und deshalb bei Auf- und Abstieg gleich gewesen seien. Dies
stimmt in der Tat für den Gesamtmuskel, aber nicht für die einzelnen
Muskelfasern. Das Nervensystem nutzt die größere Maximalkraft
der einzelnen Faser bei exzentrischer Kontraktion; es benutzt ein verändertes
Innervationsprogramm und setzt entsprechend weniger Fasern als bei der
Muskelverkürzung. Das Gewicht muß beim Abstieg also von weniger
Fasern als beim Aufstieg getragen werden, so daß auf die Einzelfaser
eine größere Kraft entfällt und damit natürlich die
Rißgefahr ansteigt.
Der
elektronenmikroskopische Beweis
Obwohl
also schon lange der Zusammenhang zwischen hoher Spannungs- belastung und
Muskelfaser feststeht, erfolgte der elektronenmikroskopische Nachweis von
Verletzungen doch erst in den letzten Jahren durch skandina- vische Anatomen.
Aus dem Oberschenkel von Versuchspersonen entnahmen sie Muskelproben unmittelbar
und einige Tage nach stärkeren Bremsbewe- gungen mit nachfolgendem
Muskelkater. Sie stellten Schäden an den sogenannten Z-Scheiben innerhalb
der Muskelfaser fest, die offensichtlich Zerreißungen waren. Hierzu
muß man wissen, daß die der Kontraktion dienenden Eiweiße
in regelmäßigen Gruppen auf fadenförmigen Strukturen in
der Muskelzelle, sogenannten Fibrillen, angeordnet sind. In den Z-Scheiben
ist das Aktin verankert - ein Eiweiß, das sich mit einem anderen,
parallel angeordneten Eiweiß - dem Myosin - bei der Muskelverkürzung
verbindet. Bei den Untersuchungen war immer nur ein Teil der Z- Scheiben
in bis zu 30 Prozent alten Fasern beschädigt: vollständige Faserrisse
fehlten. Die Verletzungen heilten innerhalb von sechs Tagen fast vollständig
ab.
Warum
erst nach einem Tag?
Natürlich
stellt sich die Frage, warum im Augenblick der Verletzung kein Schmerz
verspürt wird. Der Grund ist einfach: die Schmerznervenendigungen
liegen außerhalb der Muskelfasern im Bindegewebe. Nur wenn auch dort
Risse entstehen, fühlt man sofort Schmerz. Anderenfalls müssen
erst die beschädigten Strukturen in der Zelle abgebaut werden, die
Spaltprodukte können die Schmerznerven nach dem Austritt unmittelbar
reizen oder mittel- bar dadurch, daß sie Wasser in die Zelle ziehen.
Das führt über Zellschwel- lungen zu Gefäßeinengung;
damit verschlechtert sich die Durchblutung, was ebenfalls Schmerz verursacht.
Muskelschmerz führt außerdem zu einer reflektorischen Verspannung
(Muskelhärte), die die Durchblutung weiter vermindert und so in einem
Teufelskreis den Schmerz verstärkt.
All
dies erklärt die Verzögerung bis zum Auftreten des Muskelkaters.
Auch die Tatsache, daß Muskelkater nur bei ungewohnten Bewegungen
auftritt, läßt sich gut erklären. In einer solchen Situation
ist die intramuskuläre Koordination noch schlecht. Der Kontraktionsbeginn
in verschiedenen Muskelfasern ist nicht wie nach langer Übung perfekt
synchronisiert, so daß einzelne Fasern noch besonders den hohen Spannungsspitzen
ausgesetzt werden. In Wettkämpfen verschlechtert sich die Koordination
als Folge der Ermüdung. Unterstrichen wird die Bedeutung der Koordination
durch die Tatsachen, daß vorübergehende Lähmung durch muskelerschlaffende
Mittel, zum Beispiel während Narkose, häufig von Muskelkater
gefolgt ist: der Lähmung gehen nämlich unkoordinierte Muskelzuckungen
voraus.
Aus
dem Gesagten folgt klar, daß man zur Verhinderung des Muskelkaters
hohe Kräfte vor allem in Zeiten schlechter Koordination vermeiden
muß. Beim Erlernen neuer Bewegungen und bei Beginn einer sportlichen
Aktivität sollte man die Belastung nur vorsichtig steigern. Läßt
sich dies nicht durchführen, wie etwa im Wettkampf, sind sorgfältiges
Warmmachen und vorbereitende Massage wichtig. Hat man erst einmal Muskelkater,
so kann man den natür- lichen Heilungsprozeß offensichtlich
kaum beeinflussen. Lindernd wirken passive Dehnungen, leichte bremsende
Bewegungen (zum Beispiel gemäch- liches Radfahren bei Beschwerden
im Oberschenkel) und Wärme. Vermutlich verringern diese Maßnahmen
die schmerzhafte Verspannung. Massage setzt man bei frischen Verletzungen
nicht ein, sie hat sich auch bei Muskelkater als wirkungslos erwiesen!
Die ursächliche Bewegung sollte man in den ersten Tagen vermeiden
und dann ganz vorsichtig wieder aufnehmen, um die jetzt besonders empfindlichen
verletzten Faserstrukturen nicht während der Heilung erneut zu gefährden. |